Große Fußstapfen
Weißes Papier: Walter Plank Braunes Papier: Ute Plank
1964- mein Vater Walter Plank hatte gerade das erste Jahr als frisch gebackener Kunsterzieher am Hersbrucker Gymnasium absolviert- schmuggelte er sich zwischen eine Riege Sportlehrer, um eine Reise in die USA anzutreten. Als begeisterter und begabter Zeichner hatte er bereits als Schulbub sein Taschengeld mit dem schwungvollen Vertrieb von selbst gezeichneten Karikaturen der Lehrkräfte aufgebessert und in den 1960-ern in der Satirezeitschrift „Simplicissimus“ veröffentlicht. So war klar, dass selbstgebundenes Skizzenbuch, Tusche und Feder mit ins Gepäck gehörten. Die Zeichnungen, die auf dieser Reise entstanden, habe ich erst vor kurzem entdeckt und fand sie umwerfend. Zwei Jahre vor meiner Geburt entstanden, zeigten sie mit dem liebevoll-spöttischen Blick auf das Skurrile und Ausgefallene, ein Amerika, das es wohl so nicht mehr gibt. Oder doch?
In mir war der Wunsch erwacht, 50 Jahre später auf den Spuren meines Vaters zu wandeln. Zu seiner Zeit war das gezeichnete und handschriftliche Reisejournal, das im Grunde seit Dürers Italienreise und länger existiert, bereits von der Reisefotografie verdrängt worden. Heute, nach Jahrzehnten der hemmungslosen Knipserei ist die Handzeichnung als authentische und erlebte Wahrnehmung der Wirklichkeit wieder im Kommen. Lose Gruppierungen wie die „Urban Sketchers“ („Stadtzeichner“) greifen wieder zu Stift und Pinsel und veröffentlichen ihre Werke in den sozialen Netzwerken. Denn wer zeichnet, sieht zwar weniger, dafür aber intensiver. Das konnte auch ich erleben: ließ ich mich darauf ein, eine der millionenfach in New York City vorhandenen Weihnachtsdekorationen zu zeichnen und kolorieren, konnte ich in diesem Moment nichts anderes wahrnehmen. Dafür werde ich nie vergessen, wie sich die mannshohen roten Christbaum-Kugeln in der Wasseroberfläche des künstlichen Teiches spiegelten!
New York 50 Jahre nach dem Besuch meines Vaters. Alles anders? Wie er staunte ich Bauklötze (oder gleich „Wolkenkratzer“) über die Bebauung Manhattans. Wie ein halbes Jahrhundert zuvor in seinen Zeichnungen zu erkennen, fand auch ich noch meistens Farbige in den dienenden, oder heute korrekter „serviceorientierten“ , Positionen vor. 1964 dagegen noch nicht vorstellbar war die Allgegenwart der Smartphones. Kein Ort, an dem nicht die Gesichter der Menschen durch den Blick auf ihr elektronisches Kommunikationshelferlein erleuchtet wurden: ob im Metropolitan Museum oder in der Metro, ob zum Abschotten gegen die alltägliche Mitmenschenflut per Kopfhörer oder zum Fotografieren und Kommunizieren. Auch für mich eine Hilfe: während mein Vater berichtet, halbfertige Tuschezeichnungen abends im Hotel aus dem Gedächtnis vollendet zu haben, kann ich mir doch bei den winterlichen Temperaturen im Dezember mit einem Referenzfoto auf dem Handy helfen, bevor mir die Finger abfrieren. Und dann finde ich sie, die „Zeichenkumpels“ vom anderen Ende der Welt: in einem Skulpturensaal des „Met“ stehen, sitzen oder kauern sie mit Zeichenblock und hochkonzentriertem Blick auf die Statuen, die schon Jahrhunderte vor uns entstanden sind und sich als dankbare Studienobjekte anbieten, klar: sie laufen nicht weg und halten schön still. Ich zeichne trotzdem am liebsten Menschen, auch wenn sie recht unstete Ziele sind. Ein wenig vermisse ich die extravaganten Outfits, die mein Vater mit spitzer Feder und mit vielen Details zu Papier gebracht hat- im Dezember istWärme wichtiger als Auffallen um jeden Preis. Selbst die Eisläufer im Rockefeller Center präsentieren sich erstaunlich normal, so besonders dieser Ort auch ist. Die alte Dame mit dem Gehwägelchen am Eingang des Central Parks zeigt mir schließlich, dass sich Warmhalten und individuelle Eleganz nicht ausschließen müssen: Sonnenbrille, Kunstpelz mit Ozelotprint, Moonboots.
Als ich heimkehre mit einem Kopf voller Eindrücke und einem Büchlein voller Skizzen und Notizen, nehme ich das Buch meines Vaters noch einmal zur Hand und ziehe innerlich den Hut vor diesen kleinen Kunstwerken, die er bereits mit knapp 30 Jahren geschaffen hat.