ZEITLANG NACH SAITENZAUBER


Eigentlich wäre ich die letzte, die über das Gitarrenfestival schreiben sollte. Auf dieses funkelnde Glanzlicht des Hersbrucker Kulturlebens musste mich die Hersbrucker Zeitung mit der Nase stoßen, indem sie mich für einzelne Konzertberichte verpflichtete. Da hatte das Festival seine ersten Jubiläen schon gefeiert und international einen erstaunlichen Ruf für eine Kleinstadt wie unsere erworben. Seitdem ist es mir allerdings Stück für Stück oder besser Tango für Samba so ans Herz gewachsen, dass ich es heuer schmerzlich vermissen werde.


Wäre das Gitarrenfestival dasselbe, wenn aufgrund der Corona-Auflagen nur die Hälfte des Publikums wie vereinzelte Pflänzchen im Konzertsaal verteilt wären? Wenn die Schlangen vor dem Ausschank sich wegen des Abstands bis auf den Schulhof ziehen würde, wenn Gitarrenlehrer und Gitarrenschüler sich nicht mehr gegenseitig in die Saiten greifen dürften?

Selbstverständlich wäre es nicht dasselbe. Die schwierige Entscheidung der Festivalmacher, das Großereignis dieses Jahr abzusagen, war schon richtig so.


Traurig sein dürfen wir aber alle, die das Gitarrenfestival und alles, was dazugehört, lieben gelernt haben: die vibrierende Erwartungsfreude der Besucher am Premierenabend, ja eigentlich an jedem Abend, wenn sich Geru-Halle, Dauphin-Halle oder Stadtkirche langsam füllen mit Gitarrenenthusiasten - und mit Menschen wie mir, die sich übers Jahr kaum Gitarren-CDs anhören , aber angefixt sind von der live erbrachten Meisterleistung der Musiker. Fasziniert und gebannt vom Teamplay, von der Improvisation, der Perfektion und der Fähigkeit, immer wieder zu überraschen mit unerwarteten Wendungen, nie gehörten Eigenkompositionen oder Temperamentsausbrüchen am Instrument. Dabei so nahe dran sein zu dürfen an Musikergrößen, die sonst ihre Notenständer und Gitarren-Fußschemel auf den Bühnen von New York, Paris, Rom oder sonstwo auf dem Musiker-Globus aufklappen.


Vermissen dürfen wir auch die besondere Atmosphäre der verschiedenen Konzertorte wie etwa den Glamour der langgestreckten Dauphin Speed-Event-Halle mit den blank polierten Oldtimern, die etwas nüchterne, aber akustisch perfekt ausgesteuerte Geru-Halle oder die Stadtkirche, wo die spirituellen Anteile, die jedwede Musik in sich trägt, bei besonders innigen Darbietungen im Sakralraum wahrgenommen werden können.


Vermissen dürfen wir auch das Publikum, das zu Recht gelobt wird für sein Interesse, seine Geduld und seinen Enthusiasmus – nicht wenige erwerben den Festivalpass und inhalieren eine Woche lang über jeden Tag mehrere Stunden lang Gitarrenklänge, ohne Anzeichen von Ermüdung zu zeigen. Vermissen dürfen wir auch die engagierten Fleißigen im Hintergrund, die für Pflanzen, Verpflegung und Sound sorgen und die jungen Helfer, die alles daran setzen, umsichtig die Bedürfnisse der Musiker und des Publikums zu erfüllen. Oder Festivalleiter Johannes Tonio Kreusch, der genau wie Organisator Max Weller inzwischen die Kunst der Teleportation gemeistert zu haben scheint. Denn neben den Konzertabenden gibt es ja auch noch die Tage, wo in Weiher ein Workshop sich an den anderen reiht. Für die Teilnehmer der Konzert-Akademie ist ein geschicktes Zeit-Management vonnöten, um auch nur die wichtigsten der Meisterklassen zu besuchen, um bei den persönlichen Gitarren-Helden im Fingerpicking-Kurs die letzten Pick-Tricks aufzuschnappen, die mit Üben, Üben und nochmals Üben möglicherweise zu meistern sind. Wo die Ensembles um Einklang ringen, an Kompositionsprinzipien und Songtexten gefeilt wird, man und frau sich musikerspezifischen Wehwehchen mit eigens abgestimmten Körperübungen entgegenstemmen.


Vermissen darf man aber zunächst und vor allem die Musiker selbst, die in allen Persönlichkeitsschattierungen auftreten: von den Rampenlichtliebhabern, die mit Gusto ihr Publikum genauso perfekt „spielen“ wie ihr Instrument, bis hin zu den scheuen Pflänzchen, denen die Öffentlichkeit ein notwendiges Übel darstellt, um die eigene Musik zu Gehör zu bringen. Die emotional Engagierten, die auch im Text noch der Gesellschaft den Puls fühlen, vermissen wir ebenso wie die einfühlsamen Interpreten meisterlicher Kompositionen, die in jeder Nuance die Gefühlswelt eines Anderen sensibel transportieren. Denn ebenso umfangreich wie die Temperamentschattierungen der Bühnenstars ist das Spektrum der Stile und Musikrichtungen auf diesem Festival. Auch das werden wird uns fehlen.


Und die Gitarren-Küken: so frisch, so begeistert, so vielversprechend! Wer die Matinee oder das Abschlusskonzert der Stipendiaten und Workshopteilnehmer auslässt, macht einen Fehler! Auch sie werden wir vermissen, die – tagsüber so fleißig - abends in den letzten Reihen des Saals ihren Idolen auf die Finger starren.

Lehrern und Schülern ist gemein, dass sie gut Gitarre spielen. Was heißt da gut? Gut bis an die Grenzen des Musikermöglichen in Geschwindigkeit, Gleichzeitigkeit, Präzision und Empathie. Sie zupfen, schrammeln, klopfen und zerren, sie hören dabei aufeinander und verschmelzen zu einer einmaligen Einheit von der exakten Dauer eines Musikstücks – besonders faszinierend, wenn es sich um ein Paar handelt, das auch im „echten Leben“ existiert.


Vermissen werde ich persönlich auch die elektrisierende Möglichkeit, die Musiker „live“ zu zeichnen, die pulsierende Energie direkt von der Bühne in Pinsel und Stift zu kanalisieren, die Drehungen und Wendungen in Intensität und Tempo wie ein Seismograph aufzuzeichnen. Eine große Lücke wird da sein im August. Die Lücke empfinden auch die Musiker, die 2020 um so viele Konzerte, die ja ihren Lebenunterhalt darstellen, gebracht worden sind. Hersbruck grüßt alle Musiker, die jemals da waren oder dieses Jahr kommen wollten. Ohne euch wollen wir nicht sein! Wir hoffen auf 2021!





Zu den Zeichnungen: Ein Musikstück lang hat Festivalzeichnerin Ute Plank Zeit, um die Haltung und die Energie der Bühnenmusiker ohne Vorzeichnung direkt mit dem Pinsel aufs Papier zu bringen.