Ich male live beim Sonder-Festival-Wochenende des Gitarrenfestivals in Neumarkt
Endlich, endlich wieder live zeichnen! Zwei Jahre unfreiwillige Mal- und Kritzelpause und jetzt wieder direkt vor den zu zeichnenden Musikern stehen, die Energie durch den Pinsel fluten lassen und die Vibrationen, die Stimmung, die Atmosphäre wie ein Seismograph aufzeichnen: ich bin als Live-Zeichnerin beim Mini-Gitarrenfestival im Historischen Reitstadel in Neumarkt zu Gast.
Selbstverständlich habe auch ich in der pandemischen Zwangspause täglich gezeichnet, wie ein Musiker seine Tonleitern übt. Und natürlich könnte ich zu Hause ein Musikvideo anschalten und meine Lieblingsmusiker zeichnen. Aber nichts, absolut nichts ist vergleichbar mit der Atmosphäre eines Live-Konzertes. Die Menschen, die erwartungsfroh in den Saal strömen, die Musiker, die auf der Bühne ihre ersten Töne finden, ihre kleinen Scherze, die vom Publikum dankbar mit Lachen quittiert werden und dann die Musik, die den Saal flutet und mir durch die Hand in den Pinsel fährt!
Zu Hause habe ich voller Vorfreude meine Pochade-Box mit Pinseln, Aquarellpaletten, Rohrfeder und Sepia-Tusche bepackt. Solche Malköfferchen nutzten schon Van Gogh und Monet, wenn sie ihre „Plein-Air“-Motive im Freien aufsuchten. Ich arbeite zwar heute nicht im Freien, aber zum ersten Mal seit langem ohne Maske - Brillenträger wissen, was das für das kleinteilige Arbeiten bedeutet. Und ich habe meine Freundin Barbara dabei, die mich tatkräftig unterstützt. Dafür lässt mich mein Stativ im Stich, auf dem die Pochade-Box normalerweise aufgebockt wird, dafür hat der Konzertsaal neben der ja weit und breit bekannten hervorragenden Akustik auch breite Fensternischen, die mein Malmaterial aufnehmen.
Und mit den ersten Tönen von Doris Orsans Geige und Johannes Tonio Kreuschs Gitarre fange ich an, versuche, den Ton-Arabesken, der wehmütigen Stimmung in Linie und Farbe zu folgen. „Wie können Sie denn im Dunkeln malen?“, fragt mich in der Pause jemand. Tatsächlich reicht das Licht im abgedunkelten Saal gerade so, um den Kontrast zwischen Papier und Farbe zu erkennen. Wenn die Beleuchtung wieder angeht, bin ich ebenso überrascht über das Ergebnis wie die Betrachter.
Das elektrisierende am Live-Zeichnen ist die Unwägbarkeit: „Wie lange dauert dieses Stück noch? Welche Stimmung hat das nächste Stück?“ - jeder Strich muss sitzen und ich weiß nie, wie lange ich für eine Zeichnung noch Zeit habe. Und bitte ja den Pinsel nicht fallen lassen, während zwischen einzelnen Tönen atemlose Stille herrscht!
Wieder zu Hause landet dann doch einiges im Papierkorb, denn der abrupte und von Mutterwitz sprühende musikalische Elan von Beat-Boxer und Multi-Saiten-Gitarrist Adam Rafferty verlangt eine völlig andere Herangehensweise als die elegische Melancholie der Tangos, die Doris Orsan und Johannes Tonio Kreusch zu Gehör bringen. Der Strich verändert sich noch einmal, wenn Cornelius Claudio Kreusch und seine Begleiter Zaf Zapha, Gilson de Assis und Borel de Souza voller Spielfreude Free Jazz atmen. Wenn sie gut werden, sind meine Zeichnungen eine Verneigung vor dem Können dieser Musiker.
Am Ende des fast dreistündigen Konzerts kommt es mir vor, als sei viel weniger Zeit vergangen. Als Zeichnerin kann man neben Aquarellfarbe und Tusche eben auch Musik im Blut haben!