Lievzeichnen beim Gitarrenfestival Hersbruck

Durchs Ohr über die Hand direkt aufs Blatt

Knapp 100 Zeichnungen in sieben Tagen und neun Konzerten

Ein Experiment war es für alle Beteiligten: zum 20. Jubiläum des Gitarrenfestivals eine Live-Zeichnerin zu haben, die nicht nur alle Konzerte, sondern auch Workshops und Einzelunterricht begleiten würde wie eine Reporterin, nur eben nicht mit Worten, sondern mit spontan vor Ort entstehenden Zeichnungen. „Visuelles Storytelling“ oder „gezeichnete Reportagen“ heißt das Genre, an dem sich HZ-Karikaturistin Ute Plank im Rahmen des Festivals erstmals versucht hat. Hat sie nun die Tage anders erlebt, als ein ausschließlich der Musik Lauschender?

Nachmittags um 5 ging es los: der Adrenalinspiegel stieg, eine gewisse Nervosität machte sich breit, als müsste auch ich auf einer Bühne stehen. Eine gute Sache eigentlich, denn um die neun teils überlangen Konzerte im wahrsten Sinne des Wortes „durchzustehen“, war mehr als Ausdauer gefragt. Auch meine „Performance“ war jeden Tag und Abend neu gefordert: es ging mir ja darum, die Stimmung und Energie der Musik direkt aufs Zeichenpapier überspringen zu lassen, was eine Mischung aus Konzentration und Offenheit erforderte, und dabei typische Eigenheiten der Musizierenden festzuhalten, meist bei relativer Dunkelheit im Saal. Und teilweise mit persönlichem Geschwindigkeitsrekord: um beim Konzert der Stipendiaten am Sonntag wirklich jeden abzubilden, musste eine Zeichnung genau in der Zeit fertig gestellt werden, die das Musikstück brauchte, zwischen drei und maximal 5 Minuten also. Dafür hätte ich diesmal beim besten Willen nicht, wie in den letzten Jahren öfter einmal, einen Bericht schreiben können… die Worte wollten sich nicht einstellen, eine andere Region des Gehirns hatte übernommen und war mit der Auge-Hand-Koordination voll ausgelastet. Wenn dann die Festivalgäste in die Pause strömten, hingen, noch nass und wirklich gerade „neugeboren“, meine optischen Eindrücke des eben Gehörten und Gesehenen schon an der Pinnwand.

Potentiell peinlichste Momente

Der Fingerstyle-Abend war nicht gerade leise. Aber genau in einem dieser Augenblicke, wo man eine Stecknadel hätte fallen hören, kam mein perfekt ausbalanciertes Dreibein-Zeichenbrett ins Wanken und mit ihm Wasserglas und zwei offene Farbgefäße, Aquarellkasten und eine Auswahl Pinsel und Stifte. Ohne die rettend zugreifende Hand eines aufmerksamen Festivalgastes wäre ich durch einen Riesenkladderadatsch aufgefallen.

Nicht zutreffend war allerdings die Befürchtung zweier befreundeter Damen, Gitarrist Jan Depreter hätte mich in der Stadtkirche öffentlich dazu aufgefordert, mit dem Zeichnen aufzuhören. Da hatten sie sich verhört: Depreter forderte sehr höflich eine neben mir sitzende Zuhörerin auf, ihr klingelndes Handy doch bitte auszuschalten.

Die durch die Nacht zuckenden Blitze, die das Kirchenschiff dramatisch erhellten und den grummelnden Donner konnte er nicht zum Verstummen bringen.

Aber wie sagte eine Zuhörerin zu mir: „Hier im Haus Gottes sind wir sicher!“


Umsorgt

Großes Lob für alle hinter den Kulissen: neben den unglaublichen Leistungen an langen Tagen und in kurzen Nächten blieb noch genug Energie, um mir eine zusätzliche Pinwand aufzustellen. Den Mitarbeitern „Backstage“ habe ich ein Leporello von 150 cm Länge gewidmet, das vermutlich bald im Bürgerbüro zu sehen sein wird.

Nach dem Zusammenbruch meines Dreibein-Zeichenbretts bekam ich ein stabiles Lesepult von den Möbelmachern gestellt.

Der 8-jährige Elia Kreusch lief mir in alle Workshops nach, um mir eine Flasche Wasser zu servieren. Er war aber auch mein schärfster Kritiker: „ Diese Linie musst Du aber noch zu Ende malen!“ hieß es, oder „Deine Farben sind zu dunkel, warum malst Du nicht mal mit Orange?!“ kommandierte er und wechselte dann schnell mein getrübtes Malwasser aus. Seine Tipps waren Gold wert, ich habe sie alle befolgt.


Workshops

Tagsüber war ich in so vielen Workshops und Einzelstunden wie möglich anwesend. Die Bandbreite war groß. Der betagte Carlos Barbosa-Lima hörte sich eine kurze Sequenz seines Schülers an, machte ein paar wenige Anmerkungen in seinem erfindungsreichen Spanisch-Englisch und fing dann an, von seinen Erlebnissen mit den Gitarrenhelden der letzten Jahrzehnte auf der ganzen Welt zu erzählen. Irgendwann stellte sein Schüler die Gitarre beiseite und lauschte nur noch- den selbst erlebten Geschichtsstunden aus der Musikerszene.

Ganz anders bei Johannes Tonio Kreusch oder Doris Orsan. Da wurden die 45 kostbaren Minuten durchaus mal mit einer Sequenz von nur einer Notenzeile Länge zugebracht, die Lehrer und Schüler immer wieder durchackerten, um exemplarisch an diesem Schnipselchen Grundsätzliches zu erarbeiten, einen weicheren Stil oder eine pointiertere Setzung von Akzenten.

Auch Körperübungen für Musiker gab es, um Verspannungen zu vermeiden, eine weitere Gelegenheit zum „Speed-Zeichnen“. Professor Michael Langer analysierte messerscharf die „gelungensten ersten Akkorde der Popgeschichte“.

Übrigens: vom Fachjargon habe ich nicht einmal ein Viertel verstanden. Aber: um zu zeichnen, was man sieht, muss man kein Gitarrenlatein beherrschen.

Jederzeit wieder? Eine schwierige Frage. Ausgepumpt ist man am Ende dieser Woche, aber auch auf Wolke Sieben wegen all der netten Kommentare und dem Hochgefühl, mit den anderen Helfern eine gemeinschaftliche Leistung erbracht zu haben. Und erfüllt von der grandiosen Vielfarbigkeit der neun Konzerte – Radio anschalten und irgendeine Musik hören, das war in dieser Woche keine Option. Der Termin für das Gitarrenfestival 2020 steht bereits fest, ob ich wieder mit Farbkasten und Pinsel dabei bin, noch nicht.

Alle Fotos von mir, außer das Foto von mir: Harald Wittig

Danke an die Hersbrucker Zeitung für das Veröffentlichen dieses Texts und dieser Bilder und für die Unterstützung meiner Arbeit!